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09.10.2005

Christina Thürmer-Rohr
Laura Gallati — Fragen zur deutschen Gedenkkultur

Erbschaft ohne Testament

FRAGEN ZUR DEUTSCHEN GEDENKKULTUR

Viele Kommentatoren meinen, daß die innere Welt der Deutschen von nichts so sehr geprägt sei wie von der NS-Vergangenheit. Manche beklagen bereits den inflationären Umgang mit dem Thema und sprechen von Gedächtniskult. Wir hätten ein hysterisches Verhältnis zur Vergangenheit, aus Erinnerungslast werde Erinnerungslust, die Erinnerungskonjunktur produziere zwanghafte Gedächtnisnormen, das Verhältnis zur Geschichte werde moralisiert und sentimentalisiert. Jedenfalls sind Fragen nach der historischen Erinnerung immer auch Fragen an unsere Zeitgenossenschaft, denn erinnern tun wir jetzt. Erinnerung ist als Bestandteil der Person deren Urteil überlassen. Dieses Urteil stößt auf die Schwierigkeit, daß “uns unsere Erbschaft ohne Testament überlassen wurde“ (Hannah Arendt). Auf Überlieferungen und Traditionen können wir nicht unbefangen zurückgreifen. Von den Jetztlebenden wird entschieden, was wie bewahrt und was vergessen wird. So ergibt sich ein verwirrendes Bild – ein Minenfeld.

JOHN CAGE: In the name of the Holocaust (1948)
LUIGI NONO: „…sofferte onde serene“ (1976)