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03.07.2005

Christina Thürmer-Rohr — Verstehen & Nichtverstehen

Das Ortlose

„Alle Anstrengung des Verstehenwollens beginnt damit, daß einem etwas … befremdlich, herausfordernd, desorientierend entgegentritt“ (H.G.Gadamer): das Ortlose, das wir nicht einordnen können und das uns in Verwirrung bringt. Verstehen beginnt mit dem Fremdsein oder Fremdmachen des Gegenstandes, nicht mit dessen Vertrautsein oder Vertrautmachen. Hermes, der Namensgeber der Hermeneutik, ein Götterbote, der gesicherte Informtionen überbringen sollte, betätigte sich als Genie des Betruges und der systematischen Desinformation, ein frühreifes, listiges Gotteskind, das schändliche Abenteuer suchte. Seine Diebstahl-Methode wirft ein Licht auf die Kunst des Verstehens: Hermes stahl 50 Kühe und versuchte erfolgreich, die Spuren seines Tuns zu verwischen. Er legte Fehlspuren, indem er aus der Rinde einer Eiche Sohlen bastelte, die er den entwendeten Kühen unter die Hufen band, und er vertauscht e zudem die vorderen Hufe mit den hinteren. Bald ist die Herde spurenreich und spurenlos verschwunden. Die Spuren werden ins Unlesbare vergrößert. Hermes verwandelte außerdem seinen einzigen Zeugen in einen Stein – das Inbild der Sprachlosigkeit. Erst indem dieser Gott der trügerischen Verständigung Spuren tilgt, schafft er den hermeneutischen Verstehensbedarf.