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15.04.2018

Sabine Hark — Von Null aufbrechen.

Über Vergänglichkeit und die Notwendigkeit, Gewissheiten zu verlernen

Sabine Hark – Text
VON NULL AUFBRECHEN

Wie kommt das Neue in die Welt?
Über Vergänglichkeit und die Notwendigkeit, Gewissenheit zu verlernen.

Sie sagen, dass sie von Null aufbrechen. Sie sagen, dass es eine neue Welt ist, die beginnt.« Vor bald fünfzig Jahren, 1969, erschien Monique Wittigs Roman Les Guérillères, berühmt vor allem für seine revolutionäre, die zweigeschlechtliche, androzentrische Logik unterlaufende Poetik. Was Wittigs Guérillères ausmacht, ist der Versuch, gemeinsam eine neue Welt zu wagen – im vielleicht auch nur intuitiven Wissen sowohl darum, dass kulturelle und symbolische Normen, soziale Gebräuche und repressive Institutionen weder naturgegeben noch unveränderbar sind. Sie sind nicht länger bereit, die Welt hinzunehmen, wie sie ist, sondern imaginieren, wie sie sein könnte, darum wissend, dass uns Geschichte nicht widerfährt, sondern von uns gemacht wird, wenn auch »nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«. Momente für ein »Denken des Kommenden« (Achille Mbembe) und Impulse für eine Neuerfindung des Sozialen, für ein anderes In-der-Welt-Sein, sind daher bereits im Bestehenden auszumachen. Kritische Theorie, mit anderen Worten, hat eine doppelte Aufgabe: Sie muss Wissen über die Verhältnisse der Verhinderung hervorbringen und daran arbeiten, uns von unseren Gewissheiten zu lösen, diese Gewissheiten zu verlernen – um eben dadurch Räume der Imagination für andere Möglichkeiten zu gewinnen. (Sabine Hark)

SABINE HARK (Dr. phil.), Soziolog*in, ist Professor*in für Interdiziplinäre Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Sie gilt als Mitbegründer*in der Queer Theory. Als Mitherausgeber*in der Zeitschrift „Feministische Studien“ publiziert sie u.a. in Zeit online, dem Tagesspiegel und der taz.