Christina Thürmer-Rohr — Hannah Arendts Kunst der Unterscheidung
„Ich beginne immer erst zu sagen: a und b sind nicht dasselbe“
Hannah Arendt sah den Kern politischen Denkens in der Fähigkeit, Grenzen zu ziehen und Differenz zu sehen – nicht alles gleich zu setzen und damit indifferent und unentscheidbar zu machen. Um zu denken, muss man unterscheiden statt assoziieren, und erst wenn man unterscheidet, kann man urteilen. Dafür muss man wählen können – ein Ausdruck von Freiheit. Das Böse ist “ein Phänomen mangelnder Urteilskraft. Da die Urteilskraft auf Andere reflektiert, ist nur der ‚böse’ Mensch, der nicht urteilt, den Unterschied nicht kennt, zu allem fähig. Urteilen selbst hängt mit Denken insofern zusammen, als sich im Denken die Differenz, also die angeborene Pluralität aktualisiert“. Dieser eine Satz deutet den große Rahmen an, in dem Arendt die Bedeutung des Unterscheidens ansiedelt: den Zusammenhang von Unterscheiden, Urteilen, Grenzen einhalten, Differenz, Pluralität – bzw. von Nicht-Unterscheiden, Abwesenheit des Urteilens, Abwesenheit des Anderen, Entgrenzung und dem Bösen.